622 Xxv. §. io. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
sten neben sich sah, konnte er seiner bisherigen Eroberungen nicht ftoh
werden. Nicht belehrt durch das Beispiel Spaniens, wo die gereizte,
bis zur Tigerwuth gesteigerte Volkskraft ihm ein Heer nach dem an-
dern vernichtete, und heute scheinbar zu Boden gestreckt, morgen desto
gefährlicher und grimmiger wieder hervorbrach, glaubte er, daß seinem
Feldherrntalent und Glücksstern nichts unmöglich sei. Was war denn
noch auf dem europäischen Festland, das ihn reizen konnte? Denn
auf dem Festlande mußte es sein; Englands Jnselreich blieb ihm
unantastbar. Der schmale Meeresarm zwischen Frankreich und Eng-
land bildete damals eine unübersteigliche eherne Mauer, die aller Wuth
und toddrohendem Verderben des Weltbezwingers spottete. Wie oft
hatte er eine Landung, einen Einbruch in England angekündigt, wie
lange und mühselig Alleö dazu vorbereitet; aber er ist nie damit zu
Stande gekommen. Das Meer war sein Element nicht. An Schiffs-
macht waren ihm die Engländer entschieden überlegen. Sie belager-
ten ihn fast in seinen Häfen, sie vernichteten den ganzen französischen
Seehandel, sie zerstörten ihm seine Flotten, sie nahmen alle französi-
schen Colonieen weg: sie reizten alle seine Feinde unaufhörlich durch
Geldsendungen und Hülfleistungen, in Spanien und Portugal hatten
sie ihre Truppen dem erbitterten Volke zu Hülfe gesandt. Was konnte
Napoleon gegen sie machen? Um ihnen einen gewaltigen Schlag bei-
zubringen, verbot er allen Staaten Europa's den Handel mit Eng-
land, englische Maaren ließ er wegnehmen und verbrennen. Der thö-
richte Mann bedachte nicht, daß er durch solches Verbot seine eignen
Unterlhanen am schwersten traf, zugleich aber einer ungeheuren und
unvermeidlichen Schmuggelei die Thüren öffnete, die am Ende doch
den Engländern Vortheil bringen mußte. Oestreich und Preußen nebst
den übrigen kleineren Staaten hatten sich diesem Machtgebot des Kai-
sers fügen müssen. Oestreich war ohnehin durch den letzten Krieg
(1809) gänzlich vom Meer abgeschnitten und Preußen war der
Willkür des stolzen und ungerechten Ueberwinders völlig preisgege-
den. Aber daß das mächtige und noch unüberwundene Rußland
sich ebenfalls zum Gehorsam gegen solch schmachvolles, den eignen
Handel zerstörendes Decret herbeiließ, mag uns billig Wunder neh-
men. Napoleon hatte sein „Continentalsystem" dem Kaiser von Ruß-
land im Frieden von Memel (1807) aufgedrungen, und Kaiser Alex-
ander hatte es bis dahin für nützlich erachtet, mit dem mächtigen
Eroberer gute Freundschaft zu halten, war auch 1808 zu einer per-
sönlichen Unterredung mit Napoleon in Erfurt zusammengekommen
— die beiden fremden Kaiser mitten in Deutschland gleich als in
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Oestreich Oestreich Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Spaniens Englands Frankreich England Spanien Portugal Erfurt Deutschland
Xix. §. 14. Einbruch der Normannen in die christliche Kirche. Z51
nun auch mit den germanischen Dänen und Normannen. Nur
mit dem Unterschiede, daß während jene frühesten Stämme alle zu
Lande sich hineingedrängt hatten, diese letzteren als echte Kinder des
Meeres, Seeräuber und Freibeuter, sich allesammt zu Schiffe setzten
und wo irgend eine christliche Küste ihnen offen stand, wo ein
schiffbarer Strom sie zu reichen Städten, Kirchen oder Abteien führte,
wo ein fruchtbares Ufergebiet ihnen reiche Ausbeute versprach, da so-
fort erschienen wie aus dem Meer entstiegene, wie vom Sturmwind
plötzlich herbeigeführte Heuschreckenschwärme, die Alles plünderten, ver-
heerten, verbrannten, was ihre kecken Hände nur zu erreichen ver-
mochten, und mit großer Beute beladen und vielen Gefangenen in ihre
arme, kalte, unwirthliche Heimath zurückkehrten. So drangen sie ein
in die Ströme Englands, Frankreichs, ja selbst Spaniens und Ita-
liens und plünderten mit demselben ungestraften Uebermuth (denn das
früher unter Karl dem Großen so gewaltige Frankreich war unter
seinen Nachfolgern wehrlos jedem kühnen Feinde preisgegeben) Ham-
burg an der Elbe und Toulouse an der Garonne, Paris und London,
Köln am Rhein und Lissabon am Tajo, ja sie wagten sich sogar vor
Rom und Constantinopel. Den meisten dieser schrecklichen Seekönige,
die einen ungeheuren Jammer über das gesammte Frankenreich verbrei-
teten, kam es freilich nur darauf an, zu rauben und sich einen berühm-
ten Namen zu machen. Aber etliche hatten es ausdrücklich auf Land-
besitz abgesehen. Dem tapfern angelsächsischen König von England
Alfred dem Großen (871—901) und seinen Nachfolgern trotzten sie
große Stücke des englischen Bodens ab, ja eine geraume Zeit (wäh-
rend der ersten Hälfte deö Ii. Jahrhunderts) waren Dänen die Be-
herrscher Englands, dänische Könige saßen auf dem englischen Thron
und traten hier mit ihrem ganzen Volk zum Christenthum über.
Schon viel früher, schon seit 815 hatten sich normannische Heer-
führer im nördlichen Frankreich festgesetzt und da die schwachen Ka-
rolinger sie nicht wieder zu vertreiben vermochten, so mußten sie ihnen
endlich die ganze Bretagne und Normandie abtreten (912). Auch
diese traten sofort mit allen ihren Leuten zum Christenthum über.
Von diesem Punkt aus breiteten sich die kühnen Seehelden weiter
nach zwei Seiten hin aus: nach Sicilien und Unter-Italien und nach
Britannien. Sicilien gewannen sie aus den Händen ver Araber,
Griechen und Longobarden, die sich darum stritten und Robert
Guiscard gründete ein herrliches Normannenreich au diesem süd-
lichsten Punkt Europa's (1032). Ein anderer Eroberungszug ging
von der Normandie nach der Küste Englands hinüber, wo die Sach-
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Extrahierte Personennamen: Karl Robert
Guiscard
Extrahierte Ortsnamen: Englands Frankreichs Spaniens Frankreich Toulouse Paris London Rhein Lissabon Constantinopel Englands Frankreich Sicilien Britannien Englands
190 Xiii. §. 12. Beginn des Wettkampfes zwischen Rom und Karthago.
stimmt war, aus einem griechischen und einem orientalischen. Mit
den Griechenkräften, geführt von Pyrrhus, hatten die Römer eben
ihren ersten Gang bestanden, und der Preis des Kampfes waren die
schönen Landschaften Unter-Italiens gewesen. Unmittelbar daraus
folgte schon ein anderer Kampf, in welchem die Römer auch mit den
orientalischen Kräften sich messen sollten, zwar noch nicht auf orienta-
lischem Boden, wie auch mit Pyrrhus noch nicht auf griechischem
Boden, aber doch jetzt zum ersten Male außerhalb Italiens, auf dem
Meer, auf den Inseln, auf der afrikanischen Küste. Das einzige
orientalische Volk aber, dem wir außerhalb des Orients in westlicheren
Bezirken begegnen, das also mit den westlich wohnenden Römern in
Berührung kommen konnte, war das phönizische Handelsvolk. Die
weit ausgreifenden Handelsniederlassungen der tyrischen und sidoni-
schen Kaufleute bemerkten wir schon früher an fast allen Gestaden
des westlichen Mittelmeers, an den Küsten Rordafrika's, Spaniens,
Galliens. Bei Weitem als die mächtigste dieser phönizischen (latei-
nisch: pönischen oder panischen) Colonieen stand Karthago da. In
rastlosem Streben nach Reichthum und Länderbesttz hatte die schnell
emporblühende Handelsrepublik allmälig die ganze Nordküste Asri-
ka's von den Grenzen Cyrene's an bis zu den Säulen des Hercules
sich unterthänig gemacht und beherrschte mit ihren zahlreichen und
wohlgeübten Kriegsflotten die Inseln des Mittelmeeres und den
nächstgelegenen Küstenrand Spaniens. Nicht immer waren es die
ehrenvollen Wege offener Kriegführung und überwiegender Bildung,
welche die Völker und Länder ihr unterwarfen, sondern öfter noch die
ränkevollen Windungen einer treulosen Staatsklugheit und der Schre-
cken barbarischer Grausamkeiten, womit diese Kinder Ham's im We-
sten wie im Osten sich Bahn zu machen suchten. Denn hamitischer
Götzendienst, verpaart mit Wollust und Mordsucht, hielt die Kartha-
ger in gleichen Sündenketten gefangen, wie die Cananiter, und der
Untergang der prachtvollen Handelsstadt am afrikanischen Strande er-
folgte durch die Hand der göttlichen Gerechtigkeit um derselben Sün-
den des Hochmuths und der Gottlosigkeit und des Geizes willen,
wie der Untergang der Mutterstädte am Fuße des Libanon. Rom
war vom Herrn ausersehen zum Zuchtmeister des hoffärtigen Geschlechts.
Aber nicht plötzlich, nicht blitzartig einschlagend brach das Verderben
über den stolzen Handelsstaat herein. Fast ein Jahrhundert hindurch
dauerte das gewaltige Ringen, das wechselnde Obsiegen und Unter-
liegen, ehe Karthago's Herrlichkeit unterging. Ihr war eine lange
Gnadenfrist gegönnt, viel Raum und Aufforderung zur Buße ge-
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Extrahierte Ortsnamen: Rom Karthago Italiens Spaniens Galliens Karthago Spaniens
316 Xviii. §. 10. Weiteste Ausdehnung des Khalifats ic.
übrig unter der Herrschaft der byzantinischen Kaiser und auch diese
Stücke, namentlich Constantinopel selbst wurde unaufhörlich von den
übermüthigen Feinden bedroht.
Schon gleich nachdem sie an die Küsten des mittelländischen Mee-
res vorgedrungen waren (648), hatten die Araber ihren Entschluß
kund gegeben, ihren Glauben auch über das Meer hin auszubreiten.
Die Söhne der Wüste wurden Seehelden aus Glaubenseifer. Bald
sehen wir sie aus wohlgerüsteten Schiffen das Meer durchkreuzen und
an den entlegensten Punkten die europäischen Küsten heimsuchen. Bald
fallen sie in Sicilien ein, dann wieder setzen sie die italienischen Ufer-
städte in Schrecken, gleich darauf erscheinen sie vor den griechischen
Inseln und Häfen; ganz besonders ist es Constantinopel, die glänzende
Kaiserstadr, die ihre Habsucht und ihren Ehrgeiz reizt. Wie oft haben
sie den Angriff versucht, wie gewaltige Anstrengungen haben sie ge-
macht und wie furchtbar die lasterhafte Stadt erschüttert. Fast ein
Jahrzehend hindurch (unter den Kaisern Constansll. und Constan-
tinuslv.) haben sie Jahr für Jahr die Belagerung erneuert. Und
wohl hätte man denken sollen, daß auch für Constantinopel die Zeit
des Gerichtes gekommen sei; so greuliche Frevel erfüllten den kaiser-
lichen Palast und Stadt und Reich. H eraclius (610 — 641), der
Vorgänger der beiden eben genannten Kaiser, war dadurch auf den
Thron gekommen, daß das Volk den frühern Kaiser, Phocas, der
die ganze Familie des Kaisers Mauritius auf unsäglich rohe und
scheußliche Weise umgebracht hatte, in Stücke riß und seinen Anhang
vertilgte. So trat Heraclius, der Stifter einer neuen Herrscherfa-
milie, sogleich tief in die Blutlache hinein, die sich schon längst um
den byzantinischen Thron gebildet hatte, und seine Nachfolger wateten
auf greuliche Art darin weiter. Der vorhin genannte Consta ns Ii.
(642 — 668), Sohn eines von seiner Stiefmutter vergifteten Sohns
des Heraclius, vergiftete selber wieder seine Brüder und wurde im
Bade ermordet. Constantin Iv. (668 — 685), unter welchem Con-
stantiuopel in die höchste Gefahr kam nicht bloß durch die Araber,
sondern auch durch die von Norden hereinbrechenden Bulgaren, ließ
darum doch nicht ab, Thron und Reich mit schweren Grausamkeiten
und Mordthaten zu beflecken; und sein Sohn Justinianii. (685 bis
710), dem die Araber zu gleicher Zeit in Asien Armenien, und in
Afrika Karthago entrissen, wurde wegen seiner unerträglichen Ungerech-
tigkeiten endlich mit abgeschnittener Nase in's Elend gejagt. Der Letzte
aus dem Geschlecht des Heraclius: Justinian Iii. hatte durch all
diese Greuel und Schrecknisse so wenig sich weisen lassen, daß er sich
vielmehr als ein ärgerer Wütherich geberdete als alle seine Vorgänger.
Er wurde von den Bulgaren gefangen und hingerichtet (711, das Jahr
der Eroberung Spaniens durch die Araber). Und sollte man's glau.
den? Mitten unter all dieser Noth und diesen Scheußlichkeiten hörte
man keinen Augenblick auf, mit der äußersten Erbitterung zu streiten —
worüber? Ueber die beiden Naturen in Christo und ob er bloß einen oder
zwei Willen gehabt habe. Darüber berief man Concilien, trat in Par-
TM Hauptwörter (50): [T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer]]
TM Hauptwörter (100): [T89: [Stadt Spanien Insel Land Jerusalem Reich Afrika Jahr Araber Herrschaft], T88: [Sohn Vater König Tod Kaiser Tochter Bruder Jahr Mutter Gemahlin], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle]]
TM Hauptwörter (200): [T128: [Kaiser Heer Reich Stadt Jahr Alexander Rom Zug Tod Konstantinopel], T143: [Stadt Kind Tag Haus Straße Mann Mensch Weiber Nacht Soldat], T182: [Krieg Jahr Zeit Land Deutschland Regierung Frankreich Volk Folge Revolution], T64: [Vater Sohn Jahr Tod Mutter Regierung König Kind Heinrich Bruder], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat]]